Der Blöchl Schuster - Leut` von Kerschbaum

Der Blöchl Schuster - Leut` von Kerschbaum.

Großvater, Michael Blöchl, war Schuhmacher in Kerschbaum 60 – ein typischer Landschuster. Obwohl Meister, hat er im Lauf der Jahre immer weniger Aufträge für die Neuanfertigung von Schuhen erhalten und war zum Schluss nur noch mit der Reparatur alter, zerschlissener Schuhe beschäftigt. Seine Bescheidenheit verbat es ihm, die Reparatur allzu zertretener Schuhe abzulehnen, wie­wohl er dann manchmal – nachdem die „Kundschaft“ die Schusterwerkstatt verlassen hatte – wortlos den Kopf geschüttelt und seine Tellermütze vom Kopf gerissen hatte um sie der „Kund­schaft“ nachzuschleudern.
Die Reparatur der „Treter“ erforderte häufig einen entsprechenden Zeitaufwand, zudem musste auch Leder- und Reparaturmaterial angekauft werden.

Meistens waren die Schuhe zum vereinbarten Zeitpunkt – der häufig recht kurz bemessen war – fertig, doch dann schien so mancher Besitzer plötzlich keine Eile mehr zu verspüren, seine Schuhe abzuholen.
Eine vorsichtig formulierte Erinnerung – „die Schuhe seien fertig zum Abholen“ – hat dann doch so manch Säumigen veranlasst, seine Schuhe zu holen und die Kosten zu begleichen. Manchmal sind aber Kinder gekommen, um die Schuhe abzuholen, mit dem Hinweis „da Votta kimmt eh’ båld in’s zåhlen“ – aber der gute Vater hat dann darauf halt auch vergessen. So haben einige Paare und Einzelstücke die Schusterwerkstatt zu Lebzeiten meines Groß­vaters nicht mehr verlassen - er aber hat seine Arbeitszeit und die Materialkosten nie mehr ersetzt bekommen. Eine Mahnung im heutigen Sinn wäre damals unmöglich gewesen.

Zur Aufbesserung der oft sehr bescheidenen Lebensweise hat meine Großmutter Anna Blöchl eine kleine Landwirtschaft, bestehend aus einer Kuh, meist zwei Schweinen und einigen Hühnern, betrieben. Somit konnten sich meine Großeltern wenigstens mit eigener Milch, eigenen Eiern und eigenem Fleisch versorgen.

Nachdem das Haus Nr. 60 keinen eigenen Acker und auch keine Wiese besaß, waren meine Großeltern auf das Wohlwollen einiger Bauern – besonders auf die des Landwirts Josef Friesenecker, Kerschbaum Nr. 44 – angewiesen. Auf einem seiner Äcker - genannt „Losacker“ - durften sie Kartoffeln und Rüben anbauen, um wenigstens Futter für ihre Schweine zu haben. Um ein wenig Brotgetreide zu bekommen, haben sie nach der Getreideernte die liegen gebliebenen Roggenhalme zusammengerecht um sie dann auszudreschen. Heute sehe ich noch meine Großmutter, wie sie sich immer wieder nach einzelnen Getreideähren bückte und sie in ihre Schürze steckte. Weiteres Brotgetreide haben sie zum Teil geschenkt bekommen oder mussten es zukaufen.

Ein großes Problem war das Be­schaffen des Futters für die Kuh. Der Grasbestand rund um das Haus reichte bei weitem nicht aus. So musste meine Großmut­ter das Futtergras östlich vom „Stum­holz“ heran­karren. Man kann sich heute nur noch schwer vorstellen, wie anstren­gend es gewesen sein muss, alle paar Tage einen mit feuchtem Gras voll beladenen „Tra­gatsch“ auf einer Sand­straße etwa zwei Kilo­meter weit und leicht bergan zu schieben. Noch dazu, wo meine Großmutter eher klein und von zerbrechlicher Statur gewesen ist. Um die Last besser zu verteilen, hat sich meine Großmutter zusätzlich einen Lederriemen – einen „Trageriemen“ - über die Schultern gelegt.

Als Futter für die Kuh haben meine Großeltern die Wegböschungen mähen dürfen, die sich vom Haus Kerschbaum 44 entlang eines Fahrweges nach Norden erstreckten. Eine Böschung ist nicht mit einer gedüngten Wiese zu vergleichen. Der Bewuchs ist schütter und häufig mit hartem, wertlosem Bürstlinggras und stechenden Silberdisteln durchsetzt. Eine Böschungsmahd – damals natürlich mit der Sense - ist immer eine harte, schweißtreibende Arbeit und liefert nur wenig Ertrag – besonders zur zweiten Mahd. Wegen des fortgeschrittenen Alters der Großeltern haben ihnen meine Eltern beim Mähen und bei der weiteren Heuernte helfen müssen. Zum Einbringen des Heues haben meine Großeltern dann wieder die Dienste eines Bauern in Anspruch nehmen müssen.
Die Futtermenge der Wegböschungen reichte aber bei Weitem nicht aus. So durften Sie zudem eine Wiese, etwa eineinhalb Kilometer südlich von Kerschbaum – in den „Eullern“ – als Futter­quelle nutzen. Eine Wiese im herkömmlichen Sinn war das eigentlich nicht, vielmehr würde man sie heute als typische „saure Wiese“ bezeichnen: Sie war von Wassergräben durchzogen, lag teilweise im Schattenwurf eines südlich angrenzenden Waldes und an einigen Stellen sank man fast schuhtief ein. Sie war vor allem von Sauergräsern bewachsen. Natürlich musste auch diese Wiese jedes Jahr zwei Mal von Hand, das heißt mit der Sense gemäht werden. Das welke Gras haben wir – Großeltern, Eltern und ich - dann zum besseren Trocknen auf die trockeneren, besonnten Bereiche verbracht. Wieder musste ein Bauer gebeten werden, das Heu und nach der zweiten Mahd das Grummet einzubringen.
Der Besitzer, Herr Friesenecker, hat für die Nutzung der Böschungen und der Wiese zwar keinen Pacht verlangt, dafür haben meine Großeltern bei ihm „ins Tagwerk“ gehen müssen: Sie haben im Sommer tagelang bei seiner Heuarbeit mitgeholfen, waren dabei, als Roggen und Hafer geschnitten wurden, haben für ihn im Herbst Kartoffeln und Rüben geerntet und waren auch im Winter, wenn das Getreide mit der Maschine gedroschen wurde, zur Mithilfe eingeladen. Herr Friesenecker war immer ein vermögender Bauer und hat seine Helfer natürlich ausreichend verköstigt.

Brennholz haben sie von verschiedenen Bauern bekommen, allerdings meist in Form von Fichtenästen – eher selten in Form von üblichem Brennholz. Die feineren Teile der Äste wurden herunter gehackt und zu Bündeln – „Reisigbündeln“ – gebunden, die langen, harten Astteile zu einem Haufen zusammengelegt. Irgendwann im Spätsommer sind die getrockneten Äste und die Reisigbündel dann heimgebracht worden – die Äste mussten daheim noch in ofengerechte Stücke zerschnitten werden.

Die Schilderung beruht teils auf eigenem Erlebtem, teils auf Schilderungen meiner Mutter und kann somit als authentisch angesehen werden. Ich habe nämlich während meiner Hauptschul- und Gymnasialzeit in Freistadt von 1958 bis 1967 die Wintermonate wegen der Ungangbarkeit meines Schul­weges von Rainbach nach Zulissen bei meinen Großeltern in Kerschbaum verbracht – im Sommer habe ich auch immer wieder bei Erntearbeiten mithelfen müssen.

[Niederschrift am 1. Febr. 2007]

Kerschbaum
1950-1959
Fotos
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Haus der Blöchls - Kerschbaum 60
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Ehepaar Blöchl
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Anna Blöchl mit dem Tragatsch, um Heu zu holen - Leihgeber aller 3 Fotos: Hubert Kolberger, Summerauer Straße 29 4261 Rainbach i. M.
Verfasser

Hubert Kolberger (1948-2023)
Summerauer Straße 29
4261 Rainbach i. M.

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