Strikte Anweisung, alle Personen zu grüßen.
Ernst und ich fahren während der Sommermonate mit unseren Rädern täglich auf dem Kirchensteig von Zulissen zum Postbus nach Rainbach, um in Freistadt das Gymnasium zu besuchen und am Nachmittag meist gemeinsam wieder heim. Von unseren Eltern haben wir die strikte Anweisung, alle Personen, denen wir begegnen, ordentlich zu grüßen.
Zu dieser Zeit versieht Herr Heinrich Kalupar aus Summerau auf der Hörschläger Straße – damals noch eine Sandstraße – seinen Dienst als Straßenarbeiter. Meist hält er sich in der Nähe seines zweirädrigen Karrens, auf den er allerlei Gerätschaften geladen hat, auf.
Weisungsgemäß erklingt, wenn wir morgens an ihm vorbei fahren, aus den Mündern von uns zwei jungen Buben ein freundliches „Guten Morgen!“, am Nachmittag ein ebenso freundliches „Grüß Gott!“ – Aber: keine Antwort von ihm, auch beim nächsten und beim übernächsten Mal nicht!
Sind wir vielleicht zu leise? Also wird lauter gegrüßt – aber wieder keine Antwort. Irgendwie wird die Sache ärgerlich. Wir überlegen ein „Griass di!“ oder „Servas!“, aber das scheint uns doch nicht recht geheuer.
Dann hat Ernst die zielführende Idee: “Woast wos. Waun man heit Nochmittog wieda treff’n, sog’n ma laut: Guat‘n Morgen!“
Und tatsächlich. Sein Karren steht wie üblich am Straßenrand, unmittelbar daneben gräbt Heinrich eine Wasserrinne. Wir fahren auf ihn zu, da ertönt aus unseren Kehlen ein unüberhörbares „Guten Morgen!“
Heinrich sieht auf, stutzt einen Augenblick, dann kommt von ihm ein ebenso unüberhörbares „Guten Morgen, die Herrn!“
Er ist lernfähig, denn von nun an wird er jedes Mal unseren Gruß erwidern!