So erlebte ich das Kriegsende in Rainbach

So erlebte ich das Kriegsende in Rainbach.

Nach dem Gerücht: „Die Amerikaner sind am Bahnhof Summerau!“, hatte uns der Vater in den Garten mitgenommen, von wo man einen weiten Blick bis zum Sternstein hatte. Er ließ uns durch den Feldstecher schauen, wie auf der Straße von Summerau und über die Wiesen die Panzer vorrückten. Jetzt wartete eine Kompanie Fußsoldaten in Reih und Glied am Ortseingang. Zwei amerikanische Panzer preschten auf die Kreuzung am Ortsplatz. Die Panzergeschütze richteten sich auf den Soldatentrupp. Die Amis sprangen vom Fahrzeug und winkten, näher zu kommen. Beim Vorbeigehen rissen sie einigen Soldaten noch die Gewehre von der Schulter und schlugen die Waffen an den Schleudersteinen kaputt. Sie ließen alle auf die Panzer klettern. Diese kehrten um und fuhren zurück. - Aus war der Spuk - vorerst einmal!

Schon Tage vorher waren alle Gärten und Wiesen voll von gesattelten Pferden der deutschen Offiziere. In manchem Stall der Bauern gab es später auf einmal Pferde statt Ochsen. Es lag eine Kolonne von Kraftfahrzeugen links und rechts der Straße. Gleich am nächsten Tag begannen hunderte Rainbacher die herrenlosen Fahrzeuge zu filzen. Es gab Lebensmittel. Schokolade brachte unsere Mama sogar nach Hause, gutes Werkzeug, manch eine Waffe, ein Kastenwagen voller Instrumente. Ich habe noch die alte Bassgeige, die auch auf einem Fahrzeug war. Die Musikanten versteckten gefundene Blechblasinstrumente im Heu und anderen schwer zugänglichen Stellen. Die Unmenge fahrtüchtiger Kraftfahrzeuge konnte leider keiner verstecken, doch galt es technische Instrumente auszubauen, die vielleicht auch niemand brauchen konnte. Feldtelefone waren ein neues Spielzeug für die Kinder. Waffen im Haus oder um das Haus zu verstecken wurde hinterher einem Rainbacher zum Verhängnis. Die Russen fanden eine Pistole, angeblich war er verraten worden. Sie hatten ihn abgeführt. Er kam nie mehr zurück, man hörte nichts über sein weiteres Schicksal.

Wir Kinder durften ja nicht weg vom Haus. Aber da war in einer sumpfigen Wiese nahe Großvaters Haus eine gewichtige Fliegerabwehr-Kanone (FLAK) im Morast versunken. Auf einer Treppe konnte man aufsitzen. Der Platz des „Richtschützen“ hatte eine Kurbel, damit konnte der Geschützaufsatz nach allen Richtungen gedreht werden. Im Vorbeilaufen machten wir immer eine kurze Fahrt mit unserem Ringelspiel.

Nachdem die Alliierten Siegermächte die Zonengrenzen verhandelt hatten, verließen die Amerikaner unsere Gegend. Das Mühlviertel nördlich der Donau fiel der Besetzung der Russen zu. Durch die Vorhänge sahen wir die ersten russischen Besetzer in einer nicht endenden Kolonne von Norden her vorbeiziehen. Der Vater nahm uns zum Dachbodenfenster mit, wo er ein Foto schoss. Es gab vermutlich nur wenige benützbare Übergänge an der tschechischen Grenze wie die Prager Bundesstraße. Anders als bei den Amerikanern sahen wir nur wenige Kommandofahrzeuge, keine schweren Waffen (Lastwagen, Panzer und Kanonen). Die Offiziere waren beritten, das Fußvolk saß auf den Leiteıwagen mit Pferden bespannt. Sie machten nicht Halt. Sie hatten wahrscheinlich den Befehl, vorerst das ganze Gebiet bis zur Donau hin zu füllen. Als wäre es ein Begrüßungsgeschenk der neuen Machthaber, wurde für die Bewohner des Ortes erst einmal Schweinefleisch von fetten ungarischen „Bogauner-Schweinen“ aus dem Bakonywald verteilt. Auch wir bekamen einen nur fetten Patzen dieser bis jetzt raren Köstlichkeit ab. Nach diesem Festmahl war die ganze Familie krank (wir hatten die Gelbsucht). Wehe den Bauern, die sich mit einem Gespann aus dem Haus trauten. Pferde und Wagen wurden von den Soldaten gebraucht. Der Großvater hatte kurz zuvor einen wunderschönen jungen Schimmel eingehandelt. Dieser stach im Pferdegatter einem russischen Oberst ins Auge. Da er sich nicht satteln ließ, wurde ein kleiner, dicker Russensoldat („Pferdetrainer“?) herbeigeholt. Der warf sich vor unseren Augen, ohne Sattel, aber mit schweren Sporen an seinen Stiefeln, aufs Pferd, das sofort mit ihm durchging. Nach einiger Zeit kam er mit dem kaputt geschundenen Pferd zurück. Das gesamte weiße Fell des Tieres war rot von Blut durch die Sporen. Als es am Zügel weg geführt wurde, ging der Großvater gebückt ins die Stube. Es hatte schon Tote gegeben, wenn sich jemand gegen eine Enteignung gewehrt hatte. Die Pistolen der Russen saßen locker. Wir standen erschrocken daneben und weinten.

Am Abend stockte der Tross meist im Ort. Zwei Offizieren gefiel das Schulhaus von seiner Größe her. Sie kamen in unsere Wohnung, denn sie wollten hier übernachten und legten sich in Uniform und Stiefeln ins Elternschlafzimmer. Uns blieben die Küche und das Kinderzimmer. Die „Pfeifendeckel“ (Offiziersdiener), kramten in den Küchenladen. Dem Vater erklärten sie, sie suchten „Deutsche Soldat“. Ein Rasierapparat verschwand in der Jackentasche, Flaschen wurden untersucht (auch Spiritus war für sie Alkohol), nach Uhren fragten sie, wichtige Papiere, kleine Wertgegenstände und Schmuck waren unter
Fußbodenbrettern versteckt, und wichtiger Hausrat der Großfamilie lag schon länger ganz hinten im Bierkeller des Onkels unter einer doppelten Steinwand eingemauert.
Als das ganze Mühlviertel erobert und besetzt war, entstanden in größeren Orten Stützpunkte.

In Freistadt war die „Kormnandantura“ für eine russische Verwaltung im Bezirk eingerichtet, in Rainbach wurde das Schulgebäude beschlagnahmt. Auf Befehl der Russen hieß es: „Alles, was aus dem Gebäude innerhalb einer Stunde nicht weggebracht wird, bleibt im Haus!“ Erst wurde alles im Garten gelagert. Wir liefen mit unseren Spielsachen, (die nahm man uns aus der Hand und drückte uns Geschirr und Kleidung in die Hand). Dann begann der Möbeltransport. Der Großvater voraus und der Nachbarbauer brachten die Einrichtung in ihre “Oberen Stuben“. Ein großer gemauerter Getreidekasten im Bauernhaus Stöglehner („Gregernhansl“) war frei. Dorthin kamen die wichtigsten Utensilien für einen (weiß nicht?) längeren Aufenthalt: die Betten, Tisch und Sessel, Kasten für Geschirr, ein Herd, Wäschetruhen, endlich auch unser Spielzeug. Nur Vaters Klavier stand beim Nachbarn längere Zeit im Hof unter der Dachtraufe. Alles war in einer guten Stunde gerettet. Aber es zogen erst Tage danach die Russen in die Schule ein.
In der provisorischen Wohnung feierten wir 1945 Weihnachten mit einem Chrístbaum.
Eines Nachts wurden wir wach, weil die Glaskugeln auf dem Baum klingelten. Die Ursache waren die Mäuse, die sich auf den Ästen mit Keksen einen Weihnachtsfestschmaus genehmigten. Die Russen fanden uns aber auch hier. Eines Abends klopfte es an der Tür. An die 10 bis 12 russische Soldaten standen da und suchten Musik - Musik. Meinen Vater hatte man ihnen als Musiker verraten. (Seine Ziehharmonika war aber in einem Holzstoß von Meter-Scheitern versteckt). Die Russen hatten ein Akkordeon und einen Korb mit 50 Eiern dabei (keiner wird da an ein Geschenk denken). Die Mutter musste Eierspeise kochen, der Vater russische Lieder begleiten, und die Besatzer beim Festessen mit Musik unterhalten. Eigentlich waren sie alle recht höflich und einer konnte sogar ein bisschen deutsch. Ob wir mitessen durften, weiß ich nicht!

Die Russen hatten das Schulgebäude verlassen, es musste renoviert werden. Die Besatzer hatten bei den Umzügen öfter auch brauchbare Teile, wie Türschlösser, Fensterscharniere, Schreibtische, Spiegel, Geschirr und Besteck, . ..ins eigene Lager mitgenommen.

In der 4. Klasse zogen wir wieder in der Schule ein (im gleichen Raum wie in der 1.Klasse mit der gütigen Frau Kummer, der langjährigen Organistin in Rainbach).

Wir waren als Familie des Oberlehrers jetzt auch wieder in die Schule
in die große Vierzimmerwohnung im Erdgeschoss eingezogen.

Im Unterricht wurden wir Schüler immer wieder mit Belehrungen und Plakaten davor gewarnt, beim Spiel im Wald, auf Wiesen und Feldern, die weit verstreuten Kriegsrelikte nicht anzugreifen oder gar damit zu spielen. Wir fanden am Waldrand beim Hüten einen Gewehrgurt mit Munition. Ein älterer Bub zeigte uns, was man damit machen kann: Das Projektil aus der Hülse zwängen, die Hülse mit Erde verschließen, die Patrone auf „Achtung, fertig, los“ ins „Hirterfeuer“ werfen - und sich schnell hinter einem Baum verstecken. Die Kühe auf der Flucht mussten wir danach erst suchen, beim Eintreiben wurde es schon dunkel. Am Gartenzaun wartete schon der Vater, (vom Onkel verständigt), mit einem Rutenbündel auf uns.

Rainbach i. M.
1945
Verfasser

Leopold Pötscher (geb.1937),
Andreas-Hofer-Str. 2, 4360 Grein

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