Plünderungen in der Besatzungszeit

Plünderungen in der Besatzungszeit.

Ich spürte es damals sofort, dass etwas Unangenehmes in der Luft lag und beeilte mich, den Torriegel wegzuschieben, als es pochte. Sie kamen auf einem klapprigen Wägelchen vor das Haus gefahren. Die Schrecken jener Tage. Miese Typen, zum Teil in Uniform, zum Teil in Zivil. Man wusste nie, wen man vor sich hatte. War das reguläres Militär, waren es Fremdarbeiter, die aus dem KZ kamen oder Plünderer aus eigenen Landen. Mit einer Vollmacht der Besatzungsmacht ausgestattet konnten sie tun, was sie wollten. Das Verriegeln eines Tores nutzte gar nichts. Öffnete man nicht oder zu langsam, brannte schon das Haus. Deshalb meine besondere Eile. "Wo Schwein?" hörte ich mich von einem anbrüllen und schon ließ mich ein grober Faustschlag mitten ins Gesicht in die Knie gehen.

Die Leute schwärmten im Hof aus. Nur einer blieb bei mir und drückte mir den Lauf seiner MP auf die Gurgel, versuchte mir den Kehlkopf einzudrücken. Es brannte wie Feuer. Als ich schon glaubte, mein letztes Stündlein habe geschlagen, hörte man plötzlich aus dem Hof jemanden grässlich schreien. Was war geschehen? Meine Mutter hatte eine Zuchtsau, ein mächtiges Tier, das bösartig bissig war. Nur sie durfte ihr nahe kommen. Partout dieses Tier wollte ein Kerl aus dem Koben ziehen und schon hatte es ihn am Bein, hielt ihn fest wie ein Schraubstock. Alles lief zusammen, um ihm zu helfen. Auch mein Peiniger eilte ihm zu Hilfe. Ein Schuss krachte. Selbst als das wehrhafte Haustier schon tot war, ließ es nicht locker. Die Kiefer mussten mit einer Eisenstange aufgezwängt werden, um das Bein freizukriegen. Als die Kerle durch das Pflugtor wieder hinausfuhren, tropfte Blut von dem Wägelchen. Teils stammte es von der toten Sau, teils von dem Verletzten, den man kurzerhand auf das tote Tier darauf geworfen hatte.

Nicht alle Gewalttaten verliefen so harmlos ohne Mordopfer. Bei einer Bürgermeistertagung am 6. April 1946 wurden (für den Zeitraum von Mai bis Dezember 1945) 6.344 "bei den Behörden angezeigte" Plünderungen und Ausschreitungen bekannt gegeben. Die Dunkelziffer der nicht gemeldeten Gewalttaten, insbesondere die Zahl der Vergewaltigungen war viel höher.
Ausschnitt aus dem Beitrag „Die fünf Tore“, erstmals veröffentlicht in dem Buch „Der Freiwald – Dorferinnerungen“ vom Arbeitskreis Geschichte und Kultur im Freiwald, erschienen im Verlag Bibliothek der Provinz, 3970 Weitra.

Kerschbaum
1945
Verfasser

Hans Stumbauer (geb.1911)

  • 2003, wohnhaft zuerst in Kerschbaum, dann in Linz, zuletzt in Rainbach i. M.
Info

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