Als Schüler bei der Schiherstellung mitgeholfen.
Seit ich die Hauptschule besuche, verbringe ich die Wintermonate von Beginn bis zum Ende der Schneeperiode bei meinen Großeltern in Kerschbaum. Einerseits ist der während dieser Zeit der übliche Fußweg von Zulissen durch die Pirau nach Rainbach nicht zu befahren – ich müsste also zu Fuß gehen, andererseits wäre es bei Antritt meines Schulweges noch stockfinster.
Für mich beginnt nun eine relativ bequeme Zeit: eine kurze Gehstrecke bis zum Postbus, keine Mithilfe mehr in der elterlichen Landwirtschaft, länger liegen bleiben können, mehr Zeit zum Lernen (?!), mehr Freizeit, … Bequemlichkeit jedoch ist nicht unbedingt leistungsfördernd. Das merke ich deutlich im Winterhalbjahr der dritten Klasse Gymnasium.
Viele Stunden verbringe ich nämlich mit meinem Freund Stefan Maier in der Wagner-Werkstatt seines Vaters. Hans Maier ist ein sehr geschickter, innovativer Wagnermeister, der es versteht, sich den Gegebenheiten der jeweiligen Zeit anzupassen. Waren es früher Fahrnisse für Pferdegespanne wie Leiterwagen, Holzwagen, Pferdeschlitten und dergleichen, so werden die Aufträge infolge der Mechanisierung allmählich immer weniger. Hans Maier trägt dem Rechnung, indem er auf die Produktion von Rodeln und Skiern umsteigt. Ich selbst bin seit einigen Jahren Besitzer einer Maier-Rodel.
Seine Werkstätte – wie jede Holzwerkstätte – macht auf mich einen besonderen Eindruck: der Geruch von Eschenholz, die große Bandsäge, die Hobelmaschine, die Drechselbank, die vielen kleineren Maschinen und die Werkzeuge. Außerdem verhält er sich mir gegenüber fast väterlich. Kein Wunder, dass ich mich bald in seiner Werkstatt recht wohl fühle.
Zu dieser Zeit produziert Hans Maier gerade Skier. Sie sind aus massivem Eschenholz gefertigt, ihre Form erhalten sie, indem er sie in Wasserdampf aufheizt, in einer Holzform zurechtbiegt und dann in der Form auskühlen lässt. Das Kennzeichen für Maier-Ski sind die schwarze Lackierung mit einem weißen oder roten umlaufenden Randstrich und der Aufkleber „Sturmwind“. Anfangs haben seine Skier noch keinen besonderen Kantenschutz, doch bald stattet er sie mit Stahlkanten aus: Am Rand der Lauffläche fräst er mit einer Oberfräse einen Absatz heraus, in diesen werden die Stahlkanten eingeschraubt. Mit einem Spitzbohrer sticht er die Löcher für die etwa 8 mm langen Schrauben, dann werden die Stahlkanten mit einem Drillschrauben festgeschraubt, wobei besonders beachtet werden muss, dass am Ende alle Schraubenschlitze genau in die Längsrichtung weisen.
Diese Arbeitsschritte werden bald an Stefan und mich delegiert – sie sind zwar einfach, aber doch sehr zeitraubend. Mehrere Stunden verbringen wir wöchentlich mit dem Anbringen von Stahlkanten. Daheim schnell die Aufgaben erledigt – oder auch nicht, denn ein schnelles Abschreiben am nächsten Tag tut’s auch – dann ab in Maier’s Werkstatt – ist sicher interessanter als die lateinischen Vergangenheitsformen oder die „indirect speech“ oder die Punischen Kriege zu lernen.
Bedingt durch beachtliche weltweite Erfolge im Skilauf entstehen in Österreich große Firmen, die massenhaft Skier erzeugen. Da kann der kleine Maier in Kerschbaum bald nicht mehr mithalten. Er sucht nach einer Marktnische und beginnt nun Heugebläse zu bauen.
Sobald es nach den Schneemonaten möglich ist, ist es aus mit dem Schlaraffendasein in Kerschbaum. Ich „darf“ nicht nur wieder meinen täglichen Fahrrad-Schulweg absolvieren, sondern auch in der elterlichen Landwirtschaft mithelfen und muss darüber hinaus zusätzlich meine Lerndefizite aufholen. „In Kerschbam hätts’t es so schön g’hobt, owa na! Oll‘s andere is wichtiga g’wen!“ ist dazu der Kommentar meiner Mutter. Aber es geht! Ich bringe den talwärts fahrenden Karren meiner Leistungskurve in der Schule nicht nur zum Stehen, sondern bewege ihn mit viel Anstrengung wieder ein gutes Stück aufwärts.
Dieses Auf und Ab – die „Ab’s“ wechseln allerdings jährlich – zieht sich mehrere Jahre hin. Zum Ende des Schuljahres bin ich aber jedes Jahr wieder so weit, dass ich anstandslos in die nächste Klasse aufsteigen darf.
(Teile der Orginalgeschichte wurden weggelassen)
Fotos
Verfasser
Hubert Kolberger (1948-2023)
Summerauer Straße 29
4261 Rainbach i. M.
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