Die Palmbuschen-Fehde

Die Palmbuschen-Fehde.

Ein Sonntag des Kirchenjahres steht in unserer Pfarre heute noch unübersehbar im Zeichen der Zulisser: der Palmsonntag. Einem alten – wahrscheinlich böhmischen – Brauch folgend binden die Zulisser ihre Palmbuschen anders als die übrigen Pfarrbewohner: mehrere Meter lange Haselruten werden kunstvoll mit Segenbaum, Thujen, Buchsbaum, Tannenzweigen und bunten Bändern umwunden, am oberen Ende ist das „Kreuz“, ein besonders schöner Tannenast eingebunden, der reich mit verschiedenfärbigen Krepp-Papierblumen und bunten Kreppstreifen geschmückt ist.

So auch zur Zeit unseres Aufwachsens – nur mit dem Unterschied zu heute, dass wir unsere Palmbuschen, die ein beträchtliches Gewicht haben, zu Fuß zur Kirche und wieder heim tragen müssen, und wir außerdem auf dem Heimweg mit den Hörschläger Buben jedes Jahr in Konflikt geraten.

Schon in den Tagen vor dem Palmsonntag halten wir heimlich Kriegsrat – die Eltern dürfen ja davon nichts erfahren: „Heuer wasch’n mas hoam!“ – „I steck‘ ma a schoarf’s Messa ein, damit schneid‘ i eahna den Bes’n auf!“ – „I ah!“

Immer wieder werden die „Schlachtpläne“ durchbesprochen und neu aufgestellt. Dann ist er da – der Palmsonntag. Wir sind hoch motiviert, es ist genügend Adrenalin im Blut, also kann es losgehen. Aber noch nicht gleich!

Auf dem Weg zur Kirche haben wir eine gute Dreiviertelstunde an Gehzeit hinter uns, als wir die Hörschläger und sie uns entdecken. Doch nun ist einiges an Adrenalin bereits aufgebraucht. Es bleibt daher bei einigen Stänkereien und blöden Zurufen. Auch sind zu viele Erwachsene unterwegs.
In der Kirche empfangen dann sowohl unsere Palmbuschen als auch die Hörschläger Palmbesen die kirchliche Weihe. Eigentlich dürfen sie nun als Kampfwaffen nicht mehr eingesetzt werden. Aber hat man in Kriegen nicht auch die Waffen gesegnet? Segen hin oder her – uns interessieren sowieso nur die Hörschläger Buben.

Während des Gottesdienstes, der am Palmsonntag länger dauert – der Chor singt unverständliche lateinische Lieder, der Pfarrer predigt länger als sonst, dazu noch die himmellange Leidensgeschichte – lädt sich unser Adrenalinspiegel wieder auf, die Kampfbereitschaft steigt.

Endlich – Ende des Gottesdienstes! Wir lenken die langen Palmbuschen sorgfältig durch die Kirchentür hinaus auf den Friedhofplatz, wobei wir die Hörschläger stets im Auge behalten. Auf der „Baun-Eben“ geht es – von einigen Spottbemerkungen abgesehen – noch einigermaßen. Auf der Hörschläger Straße aber, die dort durch einen schwer einsehbaren Geländeeinschnitt verläuft, verringert sich die Distanz zwischen ihnen und uns, bis wir auf Rutenlänge an ihnen heran sind.

Dann fliegt schon einer unserer langen Buschen einem Hörschläger um die Ohren. Der lässt seinen Besen fallen um sich auf den Angreifer zu stürzen. Auch wir lassen unsere Buschen fallen, denn wir lassen unseren Freund ja nicht von Hörschlägern verdreschen. Damit ist nach wenigen Sekunden eine ordentliche Keilerei im Gange. Wir versuchen einen Palmbesen der Hörschläger zu ergattern um dessen Bänder aufzuschneiden, die Hörschläger trachten nach unseren Buschen, wir aber haben auf jeden Fall dank unserer Ruten eine größere Kampfdistanz. Die Leidtragenden sind aber die Papierblumen. Ursprünglich kunstvoll gefaltet, tragen sie nun die Spuren der Kämpfe. Einige haben sich während der Gefechte vom Spitzenzweig gelöst und liegen nun irgendwo an der Straßenböschung, die anderen, die sich noch am Zweig befinden, sehen doch sehr mitgenommen aus.

„Wos is’n do g’scheh’n?“ ist die erste Frage nach dem Heimkommen mit Blick auf den Palmbuschen. „Owig’folln is er mir!“ ist die redliche Antwort.

Gottes Güte muss wirklich unendlich sein, denn sonst hätte er verhindert, dass ein Jahr spä-ter wieder …

Wir suchen zur Illustration ein Foto von Zulisser Kindern mit Palmbuschen aus früherer Zeit, womöglich noch in Schwarz-weiß. Kontaktdaten im Menü "Verein".

Zulissen
1950-1959
Verfasser

Hubert Kolberger (1948-2023)
Summerauer Straße 29
4261 Rainbach i. M.

Info

Falls Sie zu diesem Thema Ergänzendes erzählen wollen oder Fotos zur Verfügung stellen können, dann teilen Sie uns dies bitte schriftlich oder per E-Mail mit. Wir sind gerne bereit Ihren Beitrag oder das/die Foto/s hier zu publizieren.

Jedwede Veröffentlichung dieses Artikels, auch auszugsweise, darf nur mit Erlaubnis des Autors (der Autorin) geschehen.
Bei Verwendung der Fotos ist zu bedenken, dass diese eventuell urheberrechtlich geschützt sind.