Die fürchterlichste Nacht

Die fürchterlichste Nacht.

Zum Kriegsende war unsere Scheune voll mit Flüchtlingen, ehemaligen Gefangenen und Insassen des aufgelassenen KZ Mauthausens. Unsere älteste Schwester schlief bei den Flüchtlingen Reinelt aus Schlesien. Meine Schwester Rosi und ich in der Oberen Stube, alle übrigen in der Kammer. In einer Nacht gab es ein irrsinniges Geschrei. Es kamen betrunkene Russen. Wir hatten furchtbare Angst. Rosi und ich liefen in die Kammer und kuschelten uns zu den kleineren Geschwistern. Schwester Mitzi wurde von den Flüchtlingen Reinelt mit Kleidern und Decken zugedeckt. Frau Reinelt wurde von ihren Kindern bedeckt und alle weinten wegen dieses furchtbaren Getümmels. Wohl oder übel musste Vater die Haustüre aufschließen. Da kamen die Russen in das Haus, die Maschinengewehre im Anschlag und schrien: " Wo Mädchen?". So liefen sie durch das ganze Haus und sahen Rosi. Sie musste mit. Sie aber hakte sich beim Vater und bei der Mutter ein. So trieb man alle drei bis in das Vorhaus. Dabei schossen sie mit ihrem Maschinengewehr in den Beton, dass die Funken nur so flogen. Rosi riss sich aus der Umklammerung und lief in das Schlafzimmer der Mädchen. Dort fehlte ein Stab im Fensterkreuz. Sie zwang sich durch und lief zum Nachbarn. Im Getreidekasten waren ehemalige Angehörige des Arbeitsdienstes, die auch nicht in ihre Heimat konnten. Zusammen liefen sie durch die Felder in den oberen Teil des Dorfes, wo noch die Amerikaner waren. Vater stellte sich vor die Haustüre, um seine Familie zu schützen. Die Mutter flüchtete mit den Kleinkindern in den Getreidekasten und legte sich mit ihnen auf die Falltüre, die man nicht sehen konnte. Ich hatte bei den Reinelts Zuflucht gefunden. Dann hörten wir viele Schüsse. Da glaubten wir, Vater liegt wie ein Sieb tot vor der Haustüre. Doch es war mit Gottes Hilfe nicht so. Bei uns waren in der Scheune und im oberen Getreidekasten Insassen des KZ Mauthausen und Flüchtlinge einquartiert, also sehr viele Ausländer. Als die Schießerei los ging, schrie ein Ausländer auf russisch einige Worte. Die russischen Soldaten horchten hin. Diese Zeit nutzte Vater. Er lief in das Vorhaus und sperrte mit dem damals vorhandenen Türriegel zu. Neben der Haustüre befand sich eine große Holzhacke. Er sagte zu sich, der erste Russe der hereinkommt, bekommt eine über den Kopf. Es kam keiner herein, dafür leerten die Soldaten die Magazine ihrer MPIs auf der Haustüre. Die Einschüsse sah man noch bis zum Umbau 1955. Als wir Vater dann reden hörten, konnte man sagen: Es ist ein Wunder geschehen. Man kann sagen, dass die KZIer mit ihrem Geschrei unserer Familie das Leben gerettet haben.

Aus einer Niederschrift über Erlebnisse beim Zusammenbruch der deutschen Wehrmacht und der Besetzung des Mühlviertels durch die rote Armee. Diese Aufzeichnungen wurden von Gertrude Tröbinger, Sonnberg 21, 4240 Freistadt erstellt. Sie wurde 1931 als Kind der Familie Leitner, vulgo Godl, Kerschbaum 1, 4261 Rainbach i. M. geboren.

Zur Verfügung gestellt von: Karl Leitner (geb.1941),4261 Rainbach i. M., Kerschbaum

Kerschbaum
1945
Verfasser

Gertrude Tröbinger, Sonnberg 21, 4240 Freistadt

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